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Acherontic Arts 2015 - Oberhausen, Turbinenhalle - 01.05.2015
Als ahnungsloser Zaungast auf dem ersten Acherontic Arts mag ich es mir nicht anmaßen, einen Festival-Bericht zu schreiben, gleichwohl es die Bands auf Ván Records sicher verdient hätten. Stattdessen konzentriere ich mich im Folgenden in erster Linie auf jene beiden Darbietungen, die mich am Meisten gefesselt haben.
Tag 1:
Zu spät: Von (DOLCH) erlebe ich den Abschluss eines wohl recht eindrucksvollen Konzerts. Das Demo ist bereits ausverkauft und der Name macht noch eine Weile die Runde.
HERETIC berühren mich mit ihrem engagiert dargebotenen Crossover aus dreckigem Metal und Punk nicht wirklich.
Einige Musikliebhaber mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Geschmäckern hatte ich bereits im Vorfeld über die Band UNIVERSE 217 (sprich: Universe Two Seventeen) munkeln hören. Doch eine Ahnung, was da auf mich und uns in der Turbinenhalle zukommen sollte, hatte ich nicht so recht. Wann sieht und vor allem hört man eine Band, die rund 20 Jahre nach The 3rd and the Mortal eine ganz, ganz eigene Variante von Doom Metal (im weitesten Sinne) mit einer ausdrucksstarken Sängerin darzubieten hat? Die Griechen haben sich offenbar ihren ganz eigenen Zugang zu diesem Genre erschlossen, das seit geraumer Zeit arg populär ist und ergo mit Veröffentlichungen in solcher Vielzahl überschwemmt wird, dass es schwer fällt, den Überblick zu bewahren. Es spricht für das griechische Quartett, dass es trotzdem nicht an andere female fronted doom bands erinnert, sondern seine Musik auf eine solch vereinnahmende Weise zelebriert, dass ich ab der Hälfte des Gigs das Wort „Sakralhypnose“ dafür finde, mich bald in einer Kirche wähne und das metallische Drumherum gut ausblenden kann. Sängerin Tanya stimmliche Bandbreite ist ebenso bemerkenswert wie ihr Stimmvolumen und die Treffsicherheit bei in die Länge gezogenen Tönen. Die Frau hat Talent, Power und das nötige Selbstbewusstsein, um eine spielfreudige Band durch ein abwechslungsreiches wie stimmungsvolles Set zu führen. Ganz entfernt erinnert mich die Atmosphäre an in sich ruhende Bands wie Paradigma oder Saturnus, doch UNIVERSE 217 geben sich beweglicher und experimentierfreudiger; allerdings ohne an sakralem Ausdruck einzubüßen. Insofern hat das Konzert für mich wie ein Gottesdienst, in welchem sich irdische Fesseln für eine Weile lösen, der Geist zu fliegen beginnt und den Körper in einem Schwebezustand zurücklässt. Sicher, was die Südeuropäer in der nicht sonderlich anschaulichen Turbinenhalle abreißen, hat etwas Schweres und Dunkles – und doch wirkt es leicht und befreiend. Es ist Musik, die (mich) beim ersten Hören an die Hand nimmt, Zuversicht und positive Energie vermittelt. Und offenbar nicht nur mich: die Halle füllt sich während des Konzert zusehends und nach jedem Song ist mehr Applaus zu hören, was die Band dankbar zur Kenntnis nimmt, und sich immer sicherer von einem Song zum anderen steigert. Das Zusammenspiel ist tight, die Musik träumerisch und doch greifbar real, in der erhabenen Melodieführung so konkret und schön wie am ganzen Wochenende nicht mehr. Gitarrist Manos, den ich nach dem Gig anspreche und meine Begeisterung mitteile, erklärt mir im Hinblick auf Line-Up und Veranstaltungsort, dass es für seine Band eine ungewöhnliche Umgebung ist, in der sie erst Fuß fassen müssen. Zudem hätten sie im Grunde nur ältere Songs gespielt... Meine Güte, wie um Himmels Willen wird denn erst ein Konzert klingen, wenn sich diese Gruppe daheim und sicher fühlt?! Zweifelsohne, das griechische Quartett braucht sich vor keiner Band auf diesem Erdenrund verstecken. Der sympathische Eindruck wird übrigens dadurch abgerundet, dass die Universe-Shirts die Hälfte der URFAUST-Leibchen kosten.
SULPHUR AEON möchte ich mir in Unkenntnis des landauf und -ab gefeierten zweiten Albums genauer anhören, denn das Debut hatte mir in seiner künstlerischen Geschlossenheit gut gefallen. Leider ist der Sound alles andere als differenziert und somit rauscht der Krach an mir vorbei. Draußen im Flur kann ich dann Melodien erkennen...
Rein gehe ich erst wieder zu VANDERBUYST, die mich spontan an ihre Landsleute Vengeance erinnern, die ich seit 20 Jahren nicht mehr gehört habe. Die gute Laune steckt an.
Tag 2:
Bei seiner in vielerlei Hinsicht gewagten Darbietung lässt das kanadische Duo SORTILEGIA außer einer Vielzahl von Kerzen nichts anbrennen, gleichwohl glimmen die Räucherstäbchen und in der ansonsten trostlosen Turbinenhalle hängt etwas in der Luft, das der klaren Architektur des Raumes ein wenig von seiner ursprünglichen Bestimmung nimmt. Die Bühnendekoration ist hart an der Grenze zum Übertriebenen, doch irgendwie gelingt es SORTILEGIA, sich nicht im Mummenschanz zu verlustieren, sondern die Musik in ihrer dunklen Monotonie noch zu verstärken. Haereticus am Schlagzeug und Koldovsto an Gitarre und Gesang wehren jenen Anfängen im Nordischen Black Metal, die aus zahlreichen Niederlagen hervorgingen, nicht zuletzt aus dem Ende jenes sinnfreien Metals, der seine Seele und Leidenschaft im Höher-schneller-weiter-Modus verlor. SORTILEGIA geben zwar auch ein hurtiges Tempo vor, doch geht es hier nicht um Rekorde, sondern um Innehalten und Fokussieren in einem meditativen schwarzen Rausch. In einen solchen spielt sich Koldovsto so besessen hinein, dass ihre Gitarre schließlich blutbeflecktes Zeugnis von ihrem Willen ablegt, bis zum Ende der Zeremonie nicht locker zu lassen. Der Auftritt wirkt insofern auf eine Weise entrückt, die mir sehr behagt – es ist ein unvermitteltes Eintauchen in eine andere Welt, ähnlich wie in Kindertagen mit einem spannenden Buch, bei dessen Lektüre man die Zeit und die ganze Welt um sich herum vergaß. Ob die Musik an einem anderen Ort wohl noch intensiver wirkt? Unweigerlich muss ich an die Ruine einer alten Munitionsfabrik im Wald denken, die ich unlängst besucht hatte... und auch weite Teile des Publikums werden in den Bann gezogen, denn die Halle füllt sich trotz der noch recht frühen Stunde beachtlich.
Als mir Ván-Gründer Sven eine Weile später über den Weg läuft und wir auf SORTILEGIA zu sprechen kommen, lässt er seiner Begeisterung für deren Interpretation von Black Metal freien Lauf: diese hätte vor rund 20 Jahren zeitgemäß gewirkt – für ihn jedoch hat sie auch heute nichts an Faszinationskraft eingebüßt. Nach diesem beseelten Auftritt kann ich das mehr als nur verstehen, sondern auch nachfühlen: nur noch selten wird diese Musikform so stimmungsvoll und intensiv dargeboten.
„Das werden URFAUST nicht mehr toppen können“, orakelt neben mir ein für immer tauber Kollege, und er soll Recht behalten. Das liegt weniger an URFAUST selbst und ihrem mittlerweile beachtlichen Fundus an versponnenen Liedern, sondern vor allem am Klang des Schlagzeugs und einer nervösen Lichtshow, die beide dem eigenartigen Ausdruck der Holländer gar nicht gerecht werden. Hätten sie sich doch auch nur mit den Kerzen begnügt! Und ich würde verstehen, wenn sich eine Band wie Machine Head über einen solch knackigen Drum Sound freut, bei URFAUST ist es jedoch eine böse moderne Entzauberung. Das kann IX an Gitarre und Gesang trotz starker Performance auch nicht mehr wettmachen, zudem kommt VRDRBR am Schlagzeug ziemlich selbstgefällig rüber – nix von wegen Clochard. Somit fällt ein im Grunde guter Auftritt den Rahmenbedingungen zum Opfer. Das ändert nichts daran, dass auch dieses Duo ordentlich Applaus einheimst.
NECROS CHRISTOS interessieren mich bereits aus historischen Gründen, doch unabhängig vom Standort in der Halle werde ich einmal mehr aus dem Gepolter nicht schlau.
Die schwedischen GRIFTEGÅRD haben mich auf ihren Alben bislang nie gänzlich überzeugen können, und auch heute Abend gelingt es ihnen trotz einem hier recht angenehmen Klangbild und leidenschaftlicher Darbietung nicht. Zur Hölle mit meiner Engstirnigkeit...
Bei RUINS OF BEVERAST wiederholt sich das Ungemach wie zuvor bei NECROS CHRISTOS: Egal, wo man in der Halle auch steht, sobald das Schlagzeug einsetzt, ist von den Gitarren kaum was zu hören. Das ist umso ärgerlicher, als bereits das Intro verdammt atmosphärisch gerät und die ruhigeren Passagen enorm stimmungsvoll wirken. Wenn der Rest jedoch einfach nur dunkler Krach ist... einmal mehr sehr schade.
Fazit (eines bekennenden Banausen): Die Erstauflage vom Acherontic Arts überzeugt auf musikalischer Seite mit Konzerten von Bands verschiedenster Stilrichtungen, und das gefällt mir sehr gut. Ván Records wird ja derweil von einigen Kritikern als (reines) Okkult Metal Label verstanden, doch greift das viel zu kurz. Umso schöner auch die im Großen und Ganzen entspannte, fast schon familiäre Atmosphäre. Schade hingegen, dass etliche Bands unter einem völlig basslastigen Sound zu leiden hatten, und insbesondere die Gitarristen in den Hintern gekniffen waren. So schwierig es auch sein mag, in dieser Halle vernünftig zu mischen: Es kann nicht angehen, dass man auf den Flur oder ins Treppenhaus gehen muss, um Melodien zu hören, die in der Halle selbst in der Nähe des Mischpults kaum zu erkennen sind. Immerhin: Mit UNIVERSE 217 habe ich eine Band entdeckt, die mit ihrer Musik vom Fleck weg bezaubert und berührt wie kaum eine zweite im experimentellen Doom Metal. Und SORTILEGIA sollten in einer Höhle, einem Bunker oder des Nachts in einem Wald auftreten, um dort ihrer Besessenheit in angemessener Umgebung betörenden Ausdruck zu verleihen.
Photos: Ulrike Serowy